Ein*e gute*r Übersetzer*in liefert die inhaltlich, stilistisch und sprachlich angemessene Übertragung eines Textes eines*r bestimmten Autors*in in eine andere Sprache, ohne dass die inhaltlichen, stilistischen oder sprachlichen Besonderheiten des Originaltextes verloren gehen.
Ein*e Autor*in hat das Recht, dass seine*ihre Gedanken, sein*ihr Schreibstil und seine*ihre Persönlichkeit so getreu wie möglich in eine andere Sprache übertragen werden, so dass er*sie auch im übersetzten Text wiederzuerkennen ist.
Eine gute Übersetzung spiegelt die Kultur, das Leben, die Geschichte und die zwischenmenschlichen Beziehungen der Ausgangssprache in der Zielsprache wider. Der*Die Leser*in in der Zielsprache muss den Text, die Protagonisten und die Situation in der Ausgangssprache verstehen. Im Idealfall merkt der*die Leser*in gar nicht, dass er*sie eine Übersetzung liest. Der*Die Leser*in sollte den Eindruck haben, der*die Autor*in hätte direkt in seiner*ihrer Sprache geschrieben.
Ein*e gute*r Übersetzer*in ist dem*der Autor*in verpflichtet und ermöglicht durch seine*ihre Arbeit, dass der*die Autor*in eines Textes auch in einer anderen Sprache als Autor*in glänzen kann. Die Empathie des*der Übersetzers*in für den*die Autor*in und die Zielsprache entscheidet darüber, ob eine Übersetzung gut oder hervorragend ist.
Diese Ausführungen wird sicherlich jede*r Literaturübersetzer*in so oder ähnlich bestätigen. Doch Übersetzer*innen bei Gericht, für Nachrichten- oder Wissenschaftszeitungen und in der Wirtschaft werden das Geschriebene als zu pathetisch empfinden.
Aber auch in diesen Bereichen ist ein*e Übersetzer*in mit der bloßen Wort-für-Wort-Übertragung von einer Ausgangssprache in eine Zielsprache nicht fertig. Auch hier müssen die Kultur und die zwischenmenschlichen Beziehungen des Ziellandes in die Übersetzung einfließen.
Viel wichtiger in diesen Bereichen ist jedoch die Unvoreingenommenheit. Ein*e Übersetzer*in sollte keine Stellung beziehen und seine*ihre Meinung und Geisteshaltung nicht herausstechen lassen.
Doch kann ein Text neutral sein? Kann ein*e Autor*in einen Text so verfassen, dass seine*ihre Meinung vollkommen verborgen bleibt? – Nein.
Kein*e Autor*in kann seine*ihre Einstellung oder Geisteshaltung vollkommen verbergen. Vor allem bei längeren Texten wird der*die Autor*in seine*ihre Persönlichkeit einfließen lassen; durch seine*ihre Wortwahl, seine*ihre Interpunktion und seinen*ihren Schreibstil.
Und das ist gut so! Denn das macht einen Text einzigartig und lesenswert. Die Persönlichkeit des*der Autors*in soll durchscheinen.
Andererseits bedeutet das, dass auch eine (noch so gute) Übersetzung nicht völlig neutral und losgelöst von dem*der Übersetzer*in sein kann. Jede*r Übersetzer*in wird seine*ihre Übersetzung entsprechend seinem*ihrem eigenen Schreibstil und seiner*ihrer eigenen Einstellung einfärben. Eine Übersetzung zeigt nicht nur die Arbeit des*der Autors*in, sondern immer auch die Arbeit des*der Übersetzer*in. Autor*in, Übersetzer*in und Werk gehören zusammen.
Ein Texte kann nicht neutral sein
Ein Text kann nicht neutral sein. Durch die Wortwahl, die Wahl der Zeitform oder/und die Satzstellung gibt der*die Autor*in – manchmal unbewusst – seine*ihre Meinung preis. Die Wortwahl beeinflusst die Aussage des Textes und gibt ihm eine Richtung. Benutzt der*die Autor*in beispielsweise das Passiv, distanziert er*sie sich von der Satzaussage.
Es gibt Wörter, die per se positiv empfunden oder bewertet werden, und es gibt Wörter, die negativ besetzt sind, z.B. Schmaus – Fraß, schlemmen – fressen, sausen – hetzen, tänzeln – walzen, aufblühen – bersten, flanieren – latschen.
Verben, Adverbien und Adjektive können Bilder in der Fantasie des*der Lesers*in erschaffen. Der*Die Autor*in bestimmt durch die Wahl der Verben, Adverbien und Adjektive, wie diese Bilder aussehen – dunkel und düster, negativ und abstoßend oder doch eher hell und freundlich, positiv und einladend. Der*Die Leser*in kann sich das Beschriebene vorstellen.
Ich erhebe daher keinen Anspruch auf Neutralität und Unparteilichkeit. Meine Meinung wird sicherlich in der einen oder anderen Form in die Texte einfließen. Ich bemühe mich jedoch, nicht verletzend, polarisierend oder polemisch zu schreiben. Eine gewisse Voreingenommenheit oder soziale und politische Haltung kann aus meinen Schriften hervorgehen – das kann ich nicht verhindern, denn ich bin eine menschliche Autorin. Auch eine künstliche Intelligenz – ein Computer, so groß er auch sein mag – ist nur so neutral wie die Quelltexte, mit denen er gefüttert wird.
Gute Übersetzer und KI
Übersetzer*innen nutzen Computer gerne als Hilfsmittel beim Schreiben ihrer Texte – als Textverarbeitung, aber auch als elektronisches Lexikon oder Thesaurus.
Wenn lange Texte schnell übersetzt werden müssen, leisten maschinelle Übersetzungshilfen sehr gute Dienste. Der Text kann einfach in das Übersetzungstool kopiert werden, und in Sekundenschnelle liefert der Computer eine Übersetzung. Je nach Anspruch an die Übersetzung ist diese bereits brauchbar, wird aber erst gut, wenn sie von einem Menschen nachbearbeitet wird.
Die KI-unterstützte Übersetzung ist die modernste Form der maschinellen oder computergestützten Übersetzung. Eine Art neuronales Netzwerk, das unserem Gehirn nachempfunden ist, verarbeitet mit Hilfe leistungsfähiger Algorithmen riesige Datenmengen, verknüpft Informationen aus umliegenden Texten und früheren Übersetzungen, setzt vorgegebene Terminologie zuverlässig um und macht keine Flüchtigkeitsfehler. Außer Energie – und davon nicht zu wenig – kostet eine KI-unterstützte Übersetzung den*die Benutzer*in wenig; sie ist sehr kostengünstig.
Allerdings ist jeder KI-Übersetzer nur so gut wie die Daten und Informationen, mit denen er gefüttert wird. Eine KI kennt zum Beispiel keine kulturellen, regionalen oder alltäglichen Unterschiede. Sie weiß nicht, ob ein bestimmter Begriff geläufig oder „in“ ist oder ob er gerade „out“ und verpönt ist.
KI berücksichtigt nicht die Zielgruppe und kann keine Emotionen transportieren. Wenn eine Übersetzung genau auf eine bestimmte Leserschaft zugeschnitten sein soll, wenn bestimmte Stimmungen transportiert werden sollen, dann reicht die maschinelle Übersetzung einer KI nicht aus. Der Mensch muss nachbessern.
Macht KI menschliche Übersetzer*innen heute überflüssig?
Vertrauenswürdigkeit braucht Menschen
Auch in sensiblen Bereichen wie der Medizin oder dem Rechtswesen, die keine Fehler erlauben, reicht eine KI-Übersetzung allein nicht aus, Menschen müssen die Feinarbeit leisten. Nicht jede Textsorte eignet sich daher für eine rein maschinelle oder KI-unterstützte Übersetzung.
Außerdem kann eine KI-Übersetzung den Datenschutz nicht gewährleisten. Schutzwürdige Informationen sollten nicht einer Maschine anvertraut werden, sondern sind in den Händen vertrauenswürdiger Menschen besser aufgehoben. Auch wenn eine selbstlernende KI-unterstützte Maschine inhaltlich korrekte Übersetzungen liefern kann, sollte die stilistische Feinarbeit von Menschen geleistet werden.
Kreative Übersetzer
Gute Übersetzer*innen arbeiten einfallsreich und kreativ mit ihrer Sprache. Sie bewahren die Bedeutung, den Ton, die Stimmung und die Feinheiten der Wörter des Ausgangstextes und übertragen sie geschickt in den Zieltext.
Am Ende steht eine Übersetzung, die sich wie ein Original liest, als wäre sie in der Zielsprache verfasst worden. Sie verwenden zeitgemäßes Vokabular, finden treffende Formulierungen und vermeiden leere Worthülsen und überflüssige Phrasen.
Gute Übersetzer arbeiten gründlich und zuverlässig, liefern pünktlich, recherchieren bei Unklarheiten und sind an einer angenehmen und produktiven Kundenbeziehung interessiert.
Zur englischen Übersetzung des Artikels: Translator’s secret: What successful translators do