(23.06.1912 in London – 07.06.1954 in Wilmslow)
Die Turing-Familie
Alan Turings Vater war ein britischer Ingenieur, der für die britische Kolonialverwaltung in Indien arbeitete und dort auch Alans Mutter kennenlernte. Einerseits wollten seine Eltern nicht, dass er und sein älterer Bruder in den unsicheren Verhältnissen Indiens aufwachsen mussten, andererseits wollten sie weiterhin in Indien leben. Deshalb brachte Alans Mutter ihn in England zur Welt, verließ ihn und seinen älteren Bruder aber ein Jahr später, um zu ihrem Vater nach Indien zurückzukehren. Die beiden Kinder wuchsen bei Freunden der Familie auf und sahen ihre Eltern nur bei gelegentlichen Besuchen.
Alans Schulzeit
Alan mochte die Schule und war ein eher unauffälliger Schüler. Schon früh interessierte er sich für Albert Einsteins Relativitätstheorie und John von Neumans Quantenmechanik. Im Mathematikunterricht folgte er selten den vorgegebenen Rechenwegen, gewann aber alle Mathematikwettbewerbe der Schule.
Endlich konnte er frei studieren
Im Alter von 19 Jahren begann er in Cambridge mit dem Studium der Mathematik, wo er endlich seinen eigenen Interessen nachgehen konnte. Er besuchte Vorlesungen über Quantenmechanik, mathematische Philosophie und mathematische Logik. Sein Bachelor-Examen legte er im Alter von 22 Jahren mit Auszeichnung ab.
Bereits mit 24 Jahren erhielt Alan Turing ein Forschungsstipendium am King’s College der University of Cambridge. Solche Fellowships werden gewöhnlich an begabte junge Forscher innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Promotion vergeben. Sie ermöglichen es ihnen, vier Jahre lang ihre Forschungsprojekte im akademischen Umfeld der Universität durchzuführen.
Nach einem Zwischenaufenthalt an der Princeton University, wo er 1938 promovierte und mit Albert Einstein und John von Neumann zusammentraf, kehrte er 1939 nach Cambridge zurück.
Die Turing-Maschine
In einem bemerkenswerten Aufsatz beschrieb Alan Turing einen einfachen abstrakten Rechenautomaten, der einer Reihe fester Regeln folgt. Dieser Rechenautomat, der heute als Turing-Maschine bezeichnet wird, beherrschte nur drei Operationen: Lesen, Schreiben und Bewegen des Lese-/Schreibkopfes.
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So funktionierte die Turing-Maschine
Auf einem theoretisch unendlich langen Band mit Feldern stehen Zeichen eines Alphabets. Nach einem vorgegebenen Programm wird ein Zeichen gelesen oder überschrieben. Danach bewegt sich der Schreib-/Lesekopf um ein Feld nach links oder rechts oder bleibt stehen. Zahlen, die mit einer solchen Maschine berechnet werden können, werden als berechenbare Zahlen bezeichnet. Bei diesem Verfahren werden die Ziffern der Zahl nach und nach auf das zunächst leere Band geschrieben. Auf diese Weise hat zum Beispiel Alan Turing gezeigt, dass π eine berechenbare Zahl ist. Für jede berechenbare Zahl lässt sich eine Turing-Maschine angeben.
Alan Turing reichte die Erfindung eines Rechenautomaten nicht, er wollte einen echten Computer bauen. Dabei hatte er nicht im Sinne, ein elektronisches Gerät, so wie wir es heute kennen, zu konstruieren. Er dachte an einen analogen mechanischen Apparat, der eine Liste von Anweisungen abarbeiten kann. Doch er konnte seine Ideen nicht verwirklichen.
Geheime Forschung in Blechtley Park
Der zweite Weltkrieg brach aus und die britische Regierung bat Alan Turing dabei zu helfen, den geheimen Nachrichtenverkehr der deutschen Wehrmacht zu entziffern. Er gehörte zu einem Team von Wissenschaftlern, die im Herrenhaus von Blechtley Park die Aufgabe hatten, die deutschen Verschlüsselungsmethoden zu brechen, wie die Enigma-Chiffriermaschinen, der Siemens-Geheimschreiber T 52 und die Lorenz-Schlüsselmaschine.
Bletchley Park ist ein Landsitz in der englischen Grafschaft Bletchley in der Grafschaft Buckinghamshire, etwa 70 km nordwestlich von London. Zur Zeit des Zweiten Weltkrieges war das Anwesen durch eine Eisenbahnlinie sowohl mit Oxford als auch mit Cambridge und London verbunden. Die Wissenschaftler dieser Universitäten konnten daher leicht anreisen. Außerdem lag es relativ abgelegen, so dass Fremde dort sofort aufgefallen wären.
Deshalb wurde das Herrenhaus als militärische Zentralstelle ausgewählt, der es im Zweiten Weltkrieg gelang, den deutschen Nachrichtenverkehr zu entziffern und den Enigma-Code zu knacken. Alan Turings Kenntnisse der theoretischen Informatik waren dabei von entscheidender Bedeutung.
Die Enigma-Chiffrier-Maschine
Enigma-Chiffrier-Maschine, Bild: picture-alliance/ abaca / Dennis Van Tine
„Das war eine Maschine, die sah so ähnlich aus wie eine Schreibmaschine. Man hat den Klartext wie in einer Schreibmaschine eingetippt. Und man hat einen Schlüssel eingestellt, der dafür verantwortlich war, was aus dem Klartext für ein Codetext wird. Dieser Schlüssel war im Prinzip eine Buchstabenfolge aus 25 Buchstaben. Und für jeden Tag des Jahres war ein solches Codewort ausgemacht. Die Leute, die verschlüsselte Nachrichten übersenden wollten, und die Empfänger, die hatten ein großes Buch. Für jeden Tag stand da dieses Codewort drin.“ So erklärte Kurt Mehlhorn, Direktor des Max-Planck-Instituts für Informatik in Saarbrücken, in radioWissen, am 11.04.2019 die Enigma-Chiffrier-Maschine.
Die britische Armee konnte die schreibmaschinenähnliche Chiffriermaschine zwar in ihren Besitz bringen, aber den Code nicht knacken. Da hatte Alan Turing eine Idee: Wenn man wenigstens einen Teil der verschlüsselten Nachricht im Klartext kennt und die ersten fünf Buchstaben des Codes bestimmen kann, dann kann man auf die restlichen 20 Zeichen schließen.
Britische Agenten wurden aktiv und fanden diesen Klartext. Sie entdeckten, dass die deutsche Wehrmacht jeden Morgen einen verschlüsselten Wetterbericht funkte. In diesem Wetterbericht kam immer an der gleichen Stelle im Text das Wort „Wetterbericht“ vor. Von diesem Wort musste also der täglich wechselnde Code abgeleitet werden. Alan Turing fand dafür eine schnelle und praktische Lösung: Er baute eine Maschine.
Diese Maschine konnte innerhalb von ein bis zwei Stunden alle Möglichkeiten für die ersten fünf Zeichen eines Codes durchprobieren und dann die restlichen 20 ermitteln. Damit war der Code des Tages geknackt, und die britische Armee konnte von nun an alle Nachrichten des Tages entschlüsseln, auch die, die sie zuvor abgefangen hatte. Die Nachrichtenoffiziere brauchten nur am frühen Morgen den „Wetterbericht“ abzufangen, den Rest erledigte die Maschine.
Die Turing-Bombe
So ließ Alan Turing Ende 1940 elektromechanische Maschinen bauen, die in der Lage waren, die verschlüsselten Funksprüche der deutschen Luftwaffe und der deutschen Marine in kürzester Zeit zu entschlüsseln, indem sie die Funksprüche einer statistischen Analyse unterzogen. Diese Maschinen wurden als „Turing-Bombe“ bekannt und liefen fortan Tag und Nacht, um den Enigma-Code zu entschlüsseln.
Alan Turings Erfindung gilt heute als eine frühe Sternstunde der Informatik, die bereits um 1940 die Leistungsfähigkeit intelligenter Maschinen demonstrierte. Möglicherweise hat Alan Turing damit den Zweiten Weltkrieg erheblich verkürzt und vielen Menschen das Leben gerettet. Allerdings unterlag seine Arbeit damals strengster Geheimhaltung, so dass Details erst in den 1970er Jahren bekannt wurden.
Und nach dem Krieg war er einfach nur Professor Turing
In den 1950er Jahren veröffentlichte Alan Turing Aufsätze über Rechenmaschinen und Intelligenz (Computing machinery and intelligence) und arbeitete an einer Methode zur Entwicklung sogenannter künstlicher Intelligenz.
Nachdem er den Enigma-Code mit Hilfe einer Maschine entziffert hatte, die nur ein einziges Problem lösen konnte, wollte er eine „universelle Turing-Maschine“ bauen. Eine Maschine, die mit vielen verschiedenen Programmen viele Probleme lösen kann.
In einer Zeit, in der für jedes Problem eine eigene Maschine gebaut wurde, war das visionär. Er nahm das Konzept des modernen Computers vorweg, indem er Hardware und Software trennte. Alan Turing erkannte, dass nicht mehr die Hardware, sondern die Software die Komplexität einer Maschine bestimmt.
Können Maschinen intelligent sein?
Alan Turing stellte sich die Frage, ob programmierte Maschinen wirklich intelligent sein können. Er entwickelte einen Test, um dies herauszufinden. Dieser Test ging unter dem Namen „Turing-Test“ in die Geschichte ein und von da an wurden Maschinen, für die eine Art von Intelligenz in Anspruch genommen wurde, diesem Test unterzogen. Doch keine Maschine hat den Test bis heute hundertprozentig bestanden.
Eine Variante des Turing-Tests verwenden wir immer noch. Wenn man sich auf manchen Webseiten einloggen will, muss man vorher so genannte CAPTCHAs lösen. CAPTCHA steht für completely automated public Turing test to tell computers and humans apart (Vollautomatischer öffentlicher Turing-Test zur Unterscheidung von Computern und Menschen). Die in den CAPTCHAs gestellten Aufgaben sind so gestaltet, dass sie für den Menschen leicht zu lösen, für den Computer aber nur sehr schwer zu lösen sind. So geht es zum Beispiel darum, unleserliche Wörter oder Ampeln auf einem Foto von schlechter Qualität zu erkennen.
Der Turing-Test
Der Turing-Test verläuft wie folgt: Ein menschlicher Fragesteller unterhält sich über Tastatur und Bildschirm ohne Sicht- und Hörkontakt mit zwei ihm unbekannten Gesprächspartnern. Einer der Gesprächspartner ist ein Mensch, der andere eine Maschine. Kann der Fragesteller nach intensiver Befragung aufgrund der Antworten der beiden nicht sagen, wer von beiden die Maschine ist, so hat die Maschine den Turing-Test bestanden und es wird der Maschine ein menschenähnliches Denkvermögen unterstellt.
Die Zeit des Kalten Krieges
Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Alliierten – die Vereinigten Staaten, Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion – die Sieger. Sie hatten nun die Aufgabe, eine neue friedenssichernde Ordnung zu schaffen, doch die Vorstellungen von einer solchen Ordnung gingen weit auseinander. Die Sowjetunion und die USA vertraten unvereinbare Ideologien. Während die USA den Kapitalismus förderten, verfolgte die Sowjetunion ein kommunistisches System. Vom 12. März 1947 bis zum 26. Dezember 1991 herrschte der Kalte Krieg, eine Konfliktsituation mit Wettrüsten und ständiger Kriegsgefahr. Zu einem tatsächlichen Angriff kam es jedoch nie.
Und erneut geheime Projekte
Alan Turings Forschungen wurden wegen des Kalten Krieges erneut geheim gehalten. Als Mitarbeiter an geheimen Projekten stand er unter ständiger Beobachtung der Sicherheitskräfte, die ihn als Sicherheitsrisiko betrachteten. Noch schlimmer für Alan Turing war jedoch, dass seine Verdienste aus Gründen der Geheimhaltung nicht bekannt gemacht wurden. Allgemeine Anerkennung blieb ihm somit versagt.
Alan Turing wird erpresst
Als Alan Turing wegen homosexueller Beziehungen erpresst wurde, wandte er sich an die Polizei. Es kam zu einem Gerichtsverfahren. Wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot homosexueller Beziehungen wurde er vor die Alternative gestellt, ins Gefängnis zu gehen oder sich einer Östrogenbehandlung zu unterziehen.
Ab diesem Zeitpunkt verschlechterte sich seine Lebenssituation dramatisch: Körperlich litt der ambitionierte Sportler unter den Östrogenspritzen, sozial war die Ausgrenzung durch sein Umfeld spürbar.
Alan Turing begeht Selbstmord
Am 7. Juni 1954 starb Alan Turing im Alter von 41 Jahren an einer Zyanid-Vergiftung, die nach einer gerichtlichen Untersuchung als Selbstmord eingestuft wurde.
Erinnerungen an einen großen Wissenschaftler
„Man muss schon sagen, dass Alan Turing in seinem Verhalten sehr schwierig, unkonventionell oder auch skurril war. Ich kann mir auch vorstellen, dass er durchaus autistische Züge an den Tag legte. Er war ein Theoretiker, eigenbrötlerisch, und er hatte auch in seinen Verhaltensmustern durchaus sehr skurrile Elemente.“ So erinnerte sich Jochen Viehoff, Kurator am Heinz Nixdorf Forum in Paderborn, in radioWissen, am 11.04.2019 an Alan Turing.
Von-Neumann-Architektur
Die Grundlage unserer Digitaltechnik besteht bis heute aus Prozessor, Rechenwerk und Speicher, was allgemein als Von-Neumann-Architektur bezeichnet wird. Ihr Erfinder ist John von Neumann, der selbst sagte, dass seine Idee ohne die Grundlagen von Alan Turing nicht möglich gewesen wäre.
Pionier der Computerarchitektur
Alan Turing war aber nicht nur ein Pionier auf dem Gebiet der Computerarchitektur, sondern er hat schon damals vorausgesagt, wie leistungsfähig die Computer eines Tages sein würden. Er erkannte frühzeitig, dass Software immer komplexer und leistungsfähiger werden würde und prognostizierte einen enormen Bedarf an Computerprogrammierern.
1953 schrieb er ein Schachprogramm, wie es heute auf vielen Computern läuft, nur dass 1953 noch kein Computer dafür existierte.
Späte Begnadigung
Erst 2009 äußerte sich die britische Regierung zum Tod von Alan Turing. Der damalige Premierminister Gordon Brown entschuldigte sich für das Verhalten seiner Amtsvorgänger und dankte Alan Turing für seine Leistungen im Zweiten Weltkrieg.
2013 begnadigte die britische Königin Alan Turing posthum.
2014 wurde Alan Turings Schicksal unter dem Titel „The Imitating Game“ mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle verfilmt.
2017 trat in Großbritannien ein Gesetz in Kraft, das fast alle wegen Homosexualität verurteilten Bürger begnadigte. Dieses Gesetz wurde nach Alan Turing „Turing Law“ genannt. Mit dem Turing-Gesetz werden nachträglich auch bereits verstorbene Männer begnadigt.
Der Turing-Award
In Anerkennung seiner Verdienste verleiht die Association for Computing Machinery (ACM) seit 1966 jährlich den Turing Award. Er ist die höchste Auszeichnung für Verdienste um die Entwicklung der Informatik, vergleichbar etwa mit dem Nobelpreis oder der Fields-Medaille.